Die Lebenslinie – Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen

Nachhaltigkeit betrifft auch das eigene Leben. Dazu gehört, mit den persönlichen Kräften und Ressourcen verantwortungsvoll umzugehen. Bei der Suche nach entsprechenden Handlungsfeldern und Zielen kann die Arbeit mit und an der eigenen Biografie wichtige Aufschlüsse geben. Genauso wie Archäologen und Historiker anhand von Ausgrabungen und alter Dokumente Licht in das Dunkle vergangener Zeiten bringen, beleuchtet die Biografiearbeit die eigenen Kompetenzen und vieles mehr. Dieser Artikel gibt einen kurzen Überblick über die Biografiearbeit. Außerdem zeigt er, wie man eine persönliche Zeitleiste oder Lebenslinie erstellt.

Die Biografie ist mehr als der Lebenslauf

Bis heute gilt: Der lebenslauf ist ein fester Bestandteil der Bewerbung auf eine neue Stelle. Er enthält Meilensteine des zurückliegenden beruflichen Werdegangs und wichtige Ausbildungsstationen. Damit sind zwar wesentliche Aspekte der Biografie erfasst, aber eine vollständige Biografie ist mehr als dieser berufliche Lebensweg.

Die Biografie umfasst die ganze Lebensgeschichte und schließt Einstellungen und Werte mit ein, genauso wie die Bedeutungen, die man bestimmten Ereignissen beimisst. Der Autor Max Frisch hat es so auf den Punkt gebracht: „Jeder Mensch erfindet sich früher oder später eine Geschichte, die er für sein Leben hält, oder ein ganze Reihe von Geschichten“.

Diese Geschichten zu entflechten und zu reflektieren, ist ein Ziel der Biografiearbeit. Der Blick zurück liefert wichtige Aufschlüsse für Gegenwart und Zukunft. Die Beschreibung des eigenen Lebens ist Ausgangspunkt dafür, Ziele für die Zukunft zu formulieren. Ein Coach, der die richtigen Fragen stellt, kann diesen Prozess unterstützen.

Ziele der Biografiearbeit

Die Arbeit mit der Lebensbeschreibung ist weit verbreitet. In der Sozialarbeit ebenso wie in der Pflege, in der Therapie oder im Coaching ist Biografiearbeit ein fester Bestandteil geworden. Die Ziele der Biografiearbeit sind dabei vielfältig. Dazu zählen:

  • Handlungsspielräume und Lösungskompetenzen aufzudecken,
  • persönliche Ziele und Umsetzungsstrategien zu entwickeln,
  • Rollen und Verhaltensmuster zu untersuchen,
  • kulturelle und familiäre Einflüsse zu hinterfragen,
  • Lebensentwürfe zu diskutieren,
  • die Perspektive zu wechseln,
  • Wendepunkte nochmals anzuschauen oder
  • zu lernen, die eigene Lebensgeschichte zu akzeptieren

Für die Arbeit mit und an der eigenen Biografie gibt es zahlreiche Methoden. Man kann die eigene Lebensgeschichte malen, basteln, aufschreiben oder auf andere Weise darstellen. Mir persönlich gefällt der Ansatz, die Lebensgeschichte mit Spielzeugfiguren nachzustellen. Die Bilder und Installationen, die dabei entstehen, überraschen mich immer wieder.

Die eigene Lebenslinie oder Zeitleiste erstellen

Lebenslinie Beispiel
Ein Beispiel für eine (vereinfachte) Lebenslinie bzw. für einen persönlichen Zeitstrahl

Ein Tool, das hilft, die Biografie zu visualisieren, ist die sogenannte (persönliche) Zeitleiste oder Lebenslinie. Sie erfasst die „Hochs“ und „Tiefs“ des Lebens und unterstützt die Auseinandesetzung mit der eigenen Lebensgeschichte. Die Frage, die dabei im Raum steht: „Wie wurde ich zu dem Menschen, der ich heute bin?“

Wie man die persönliche Lebenslinie erstellen kann, erläutern folgende Schritte. Benötigt werden lediglich ein Blatt Papier und ein paar Stifte. Die Erstellung kann, wie bereits erwähnt, alleine oder mit einem Coach erfolgen.

Schritt 1: Zuerst wird ein Zeitstrahl mit einer horizontalen X-Achse für den Zeitverlauf und einer vertikalen Y-Achse für die Bewertung des Erlebten skizziert (z. B. positiv/negativ). Eine Vorlage zur Erstellung des Zeitstrahls bzw. der Lebenslinie kann aber auch hier heruntergeladen werden (Vorlage Lebenslinie/Zeitstrahl, PDF, ca. 430 kB).

Schritt 2: Jetzt beginnt die Erinnerungsarbeit. Hilfreich ist es, sich an wesentliche Meilensteine oder Wendepunkte zu erinnern. Diese werden in eine zeitliche Ordnung gebracht und bewertet. Die Bewertung erfolgt danach, ob die jeweiligen Punkte als „positiv“ oder „negativ“ erlebt wurden. Freudige Ereignisse werden oberhalb der Zeitachse (X-Achse) markiert, belastende oder weniger gute Ereignisse darunter. Dabei gilt, je „emotionaler“ das Ereignis, desto höher oder tiefer die Markierung. Diese wird dann mit einem Namen oder einer Überschrift versehen, z. B. „Geburt der Kinder“ (s. Foto).

Weitere Beispiele für Lebensereignisse sind z. B. Einschulung, Beginn und Ende wichtiger Freundschaften, der Tod geliebter Menschen, Umzüge, Ausbildungen, Beginn und Ende von Jobs, Eheschließung oder Scheidung, erreichte Ziele, Bewältigung von Lebenskrisen oder viele andere.

Beim Erinnern unbedingt beachten: Gut Ding will Weile haben. Falls die Erinnerung stockt, kann ein Blick ins Fotoalbum wichtige Hinweise liefern. Nehmen Sie sich auf alle Fälle ausreichend Zeit für die Erstellung der Lebenslinie.

Aus der Vergangenheit lernen

Schritt 3: Wenn alle wesentlichen Ereignisse, Meilensteine und Wendepunkte des Lebens erfasst und bewertet sind, geht es mit der Interpretation der Lebensliie weiter. Dazu werden alle erfassten Punkte chronologisch verbunden. Daraus ergibt sich so etwas wie eine Fieberkurve mit dem Auf und Ab im Leben. Interessant wird es an den jeweiligen Hoch- und Tiefpunkten, bzw. an den Wendepunkten. Fragen, die dazu gestellt werden können, lauten:

  • Tätigkeiten: Was haben Sie damals getan? Was hat Spaß gemacht? Was nicht?
  • Beziehungen: Wer stand Ihnen damals nahe? Wer hat Ihnen geholfen? Wer geschadet?
  • Erfahrungen: Was haben Sie damals gelernt? Welche Kompetenzen haben Ihnen dabei genützt, eine besondere Lebensphase zu bewältigen?
  • Befinden: Wie ging es Ihnen? Waren Sie zufrieden? Was gab Kraft, was hat Kraft gekostet?

Schritt 4: Die Antworten auf die Fragen in Schritt 3 werden jetzt nochmal reflektiert und auf die Gegenwart bezogen. Welche Begriffe (z. B. Kompetenzen oder Ressourcen) fallen auf? Gibt es Muster, die sich im Zeitstrahl wiederholen? Sind diese Muster eher hilfreich oder schaden sie eher? Wie wirken Muster sich auf die Gegenwart aus? Gibt es Anlass den Kurs zu ändern? Welche Ziele sollen formuliert werden?

Die eigene Geschichte erzählen

Vielleicht haben Sie ja Lust bekommen, auch einen persönlichen Zeitstrahl bzw. eine Lebenslinie zu erstellen. Steigen Sie dazu wie die Archäologen und Historiker hinab in den Lauf Ihrer eigenen Geschichte. Betrachten Sie das Leben neu. Ich wünsche Ihnen viel Spaß dabei! Teilen Sie Ihre Erfahrungen in die Kommentaren. Ich würde mich freuen.

6 Gedanken zu „Die Lebenslinie – Aus der Vergangenheit für die Zukunft lernen“

  1. Ich befinde mich gerade auf Reha und muß/möchte eine Lebenslinie erstellen. Ich Versuche dabei vom Standard wegzukommen. Ihre Anregungen sind sehr,sehr hilfreiche. Danke

    Antworten
  2. Hi mein Name ist Petra
    Der Vergleich mit den Archäologen ist nicht so passend finde ich. Es werden
    Dinge nicht immer sichtbar gemacht werden können. Eine Reise mit deinem Ich zu machen finde ich passender.
    Jede Sehenswürdigkeit wirst du finden oder in Erinnerung haben. Egal ob sie schön waren oder nicht. Aus dieser Reise machst du dein Album. Entweder du klebst die Bilder ein und siehst es als Erfahrung es gesehen zu haben oder du vergisst die Bilder und erinnerst dich nicht mehr daran. Diese Reise kannst nur Du machen. Stärke und Mut brauchst Du und irgendwann, wird fast jede Frage beantwortet. Jeder könnte das schaffen wenn es nicht so unbequem wäre diese Reise ohne Luxus zu machen.

    Antworten
  3. Sehr interessant. Frage mich aber, was ich mache, wenn auf der Lebenslinie die Ausschläge nach unten in der Überzahl sind und die Sichtbarwerdung des Negativen zu niederschmetternd ist. Wäre dankbar für Antworten.

    Antworten
  4. Hallo michi,
    danke für die Frage, auf die ich gerne antworte. Die Lebenslinie ist eine Methode, bestimmte Dinge wie Höhen oder Tiefen einer Biografie rückblickend zu reflektieren. Manchmal liefert sie Antworten, aber manchmal wirft sie auch neue Fragen auf.
    Ein Ausschlag nach unten hat in der Regel immer einen Ausschlag nach oben zur Folge, so wie es nach dem Regen immer wieder auch Sonne gibt. Es kann daher interessant sein, sich die Wendepunkte genauer anzuschauen, was hat sich damals an dem Punkt getan, dass sich die Situation verändert hat? Wer hat dabei geholfen? Was war aufeinmal anders? Die Antworten auf diese Fragen können Hinweise auf wichtige Ressourcen geben. Und selbst, wenn der Eindruck entsteht, dass das Leben nur ein Misserfolg und niederschmetternd ist, kann die Lebenslinie Hinweise geben, zum Beispiel auf fehlende Ressourcen. Eine naheliegende Frage wäre dann, wie Veränderungen sinnvoll angestoßen werden können. Vielleicht ist die Lebenslinie aber auch nicht das richtige Instrument. Es kommt immer auf den Kontext an, in dem solche Methoden zum Einsatz kommen. Vielleicht wäre die Positionsbestimmung mit dem Lebensrad eine geeignetere Methode, um Zielen und Schritten auf die Spur zu kommen. Auch dazu gibt es hier imBlog einen Eintrag.
    Ich hoffe, das hilft so weiter.
    Viele Grüße

    Antworten

Schreibe einen Kommentar