Gleich und gleich: In der Echokammer hat man viele Freunde

Die Begriffe Filterblase (engl. filter bubble) und Echokammer (engl. Echo chamber) machen gerade Karriere. Sie werden unter anderem dafür verwendet, den Ausgang der US-Präsidentschaftswahl 2016 oder die Entscheidung für den Brexit zu erklären. Beide Begriffe beschreiben Online-Phänomene, durch die es zu einseitigen und verengten Sichtweisen und Meinungsäußerungen im Internet kommen kann. In der Tierwohl-Diskussion bin ich jetzt auch schon häufiger über diese Begriffe gestolpert. Daraus entstanden die Fragen: Was sind eigentlich Echokammern und Filterblasen? Und wie beeinflussen sie die öffentlichen Diskussionen? Erkenntnisse aus Netzwerkforschung, Sozialpsychologie und Kommunikationswissenschaft helfen bei der Erklärung.

Sichtverengung trotz Informationsvielfalt

Durch das Internet haben wir heute die Möglichkeit, uns so umfassend zu informieren wie nie zuvor. Newsportale, Blogs, Unternehmenshomepages: Sie alle sind mit wenigen Klicks erreichbar. Dazu kommen noch Facebook, Twitter und Co., die uns dabei unterstützen Informationen innerhalb unserer sozialen Netzwerke blitzschnell auszutauschen.

Perfekte Voraussetzungen eigentlich für eine freie und informierte Meinungsbildung. Doch statt fairer Debatten und Meinungsvielfalt ist oft das Gegenteil zu beobachten. Populismus und Meinungsextreme bestimmen dem Anschein nach die öffentlichen Diskurse zunehmend. Verleumdungen und Lügen machen die Runde. Davon ist in gewissen Teilbereichen auch die Diskussion über eine nachhaltige Landwirtschaft betroffen. Die Art und Weise, wie Lebensmittel hergestellt werden sollen oder wie man sich richtig und gesund ernährt, ist häufig Gegenstand intensiver öffentlicher Meinungsverschiedenheiten.

Um diese Phänomene zu erklären, werden unter anderem die Begriffe Echokammer und Filterblase gebraucht. Sie bezeichnen Orte und Mechanismen, die dazu beitragen, das Menschen Informationen eingeschränkt wahrnehmen und daraus einseitige und/oder extreme Meinungen und Positionen entwickeln. Diese tauchen dann in den Kommentaren, Blogs oder den sozialen Medien auf. Auch als „Fake News“ oder „Hate Speech“ (deutsch: Hassrede). Doch wie kommt es dazu?

Netzwerkeffekte – „Gleich und gleich gesellt sich gern“

Nicht jede Meinung, die über das Ziel hinaus schießt, ist das Resultat einer Echokammer. Aber es gibt Effekte und Mechanismen, die das Entstehen von Echokammern begünstigen. Ein wesentlicher Aspekt sind beispielsweise Gruppendynamiken und Netzwerkeffekte. Dazu gehört auch die Neigung von Menschen, sich mit Gleichgesinnten zu umgeben. Dies ist in der Netzwerkforschung unter dem Begriff Homophilie bekannt. Homophilie bezeichnet die Tendenz, vorzugsweise Beziehungen und Freundschaften mit Menschen einzugehen, die einen ähnlichen sozialen Status, ähnliche Einstellungen oder Interessen haben.

So dürften die meisten Landwirte in der Regel einen intensiveren Kontakt zu Berufskollegen und –kolleginnen haben, als zu aktiven Tierschutzorganisationen. Umgekehrt dürften überzeugte Tierschützerinnen und Tierschützer eher freundschaftlich untereinander kommunizieren, als mit Halterinnen und konventionellen Haltern von Geflügel oder Schweinen.

Konflikte zwischen Gruppen werden auch online ausgetragen

Die Zugehörigkeit zu einer bestimmten Gruppe und die Identifikation mit ihr ist Ausgangspunkt für einen weiteren wichtigen Aspekt, der meines Erachtens für die Entstehung von Echokammern relevant ist. Die Sozialpsychologen Henri Tajfel und John Turner (1979) haben argumentiert, dass Menschen danach streben, sich selbst als positiv wahrzunehmen. In diesem Sinne bezeichnen sich Tierschützer, die nachts in Ställe einbrechen, genauso wenig als kriminell, wie Tierhalter sich als Tierquäler bezeichnen würden.

Positiv sollen aber auch die Gruppen und Netzwerke sein, in denen die Menschen Mitglied sind. Je mehr sich Menschen mit ihren Gruppen identifizieren, desto wahrscheinlicher ist es, dass der eigenen Gruppe zum Beispiel bessere Werte oder Absichten zugeschrieben werden, als den Vergleichsgruppen. Dadurch steigt auch die Neigung, die eigenen Ansichten als „besser“ oder „richtiger“ anzusehen. Diskussionen stehen bereits zu Beginn unter dem Motto: „Die anderen haben sowieso unrecht!“ Experimente haben gezeigt, dass aus dieser Haltung heraus regelrechte Feindschaften entstehen können. Dass es dabei auch zu Beleidigungen und Verleumdungen kommen kann, ist wahrscheinlich. Klare Fakten und sachliche Argumente spielen in solchen Diskussionen nicht mehr die Hauptrolle. Die Sicht verengt sich auf die eigene Meinung, „alternative Fakten“ bekommen ein größeres Gewicht.

Auch in der Diskussion über nachhaltige Agrar- und Ernährungssysteme ist Gruppenbildung zu beobachten. In einem früheren Blogbeitrag habe ich bereits die Retweet-Netzwerke mit den Hashtags #wirmacheneuchsatt und #wirhabenessatt gegenübergestellt.

„Teilen“ und „Liken“ in der Echokammer

Der Bestätigungsfehler beschreibt die Neigung von Menschen, sich selbst in ihrer eigenen Meinung zu bestätigen, unabhängig von der Faktenlage. Der italienische Computerwissenschaftler Walter Quattrociocchi begründet das Entstehen von Echokammern in einem Interview mit diesem Effekt. Dort wo Echokammereffekte zustande kämen, gehe es hauptsächlich um die gegenseitige Bestätigung unter Gleichgesinnten, so Quattrociocchi. Der Bestätigungsfehler führt dann dazu, dass in dichten sozialen Netzwerken nur die Informationen verbreitet werden, die dem eigenen Weltbild am besten entsprechen. Das gilt auch für das „Teilen“ und „Liken“ von wissenschaftlichen Studien.

Warum beim „Liken“ und „Teilen“ immer wieder extreme Meinungen verbreitet werden, begründet der Wissenschaftler Georg Franck in einem Interview mit dem Magazin brand eins (Ausgabe 02/2017) mit dem Streben nach Aufmerksamkeit. Dort wo Diskussionen besonders emotional geführt werden, fallen Verleumdungen, Beleidigungen und Lügen auf fruchtbaren Boden. Wer für seine ausgeprägten Positionen jedoch Beachtung und Zustimmung findet, hat einen starken Anreiz diese Positionen auch weiterhin zu vertreten und zu verbreiten.

Der Kampf um Meinung – öffentliche Debatten verändern sich

Durch Gruppenbildung und den Austausch innerhalb sozialer Netzwerke, kann es dazu kommen, dass sich Ansichten angleichen, bzw. abweichende Meinungen nicht geäußert werden. Auch auf gesellschaftlicher Ebene lässt sich das beobachten. Die Kommunikationswissenschaftlerin und Meinungsforscherin Elisabeth Noelle-Neumann hat dies als Schweigespirale bezeichnet.

In einem Beitrag über politische Debatten im Internet macht der Journalist Jens Berger die Schweigespirale zum Ausgangspunkt seiner Überlegungen zum Entstehen einer Echokammer. Er argumentiert: Ursprünglich hätten die klassischen Medien die Mehrheitsmeinung dargestellt bzw. definiert. Wer sich daran orientierte, brauchte keine Angst haben mit einer abweichenden Meinung alleine dazustehen. Ausgeprägte Meinungsäußerungen in der Öffentlichkeit seinen dadurch selten gewesen. Sie hätten ihren Raum an den Stammtischen gehabt.

Durch das Internet und die sozialen Medien funktioniere dieser Mechanismus jedoch nicht mehr wie gewohnt, so Berger weiter. Die sozialen Medien seien nämlich heute wie ein moderner Stammtisch. Dort könnten viele Menschen ihre ausgeprägten Meinungen weitgehend ungehindert kundtun. Wer den Konsens in der Gruppe dabei am besten träfe, würde von Gleichgesinnten „gelikt“ und „geteilt“.

Die Konsequenz: Das, was zunächst in einem kleinen Kreis diskutiert werde, könne über die sozialen Medien ungeahnte Triebkraft entwickeln. Dadurch könne der Eindruck entstehen, man sei nicht Minderheit, sondern Mehrheit.

Aber es gibt nicht nur Echokammern im Internet

Eine Studie des Pew Research Center (engl.) zur Snowden-NSA-Affäre kommt zu dem Ergebnis, dass auch die Prinzipien der Schweigespiralen im Internet gelten. Sie zeigen aber auch, dass Menschen in den USA umso eher bereit sind, sich im Internet zu äußern, wenn sie:

  • zuversichtlich sind, eine viel über das Thema zu wissen.
  • in gefühlsmäßig in starkem Maße für das Thema erwärmt sind.
  • sich stark für das Thema interessieren.

Menschen, bei denen diese Bedingungen nicht erfüllt sind, werden sich auch nicht an den Diskussionen beteiligen. Ob Echokammern entstehen, hängt also auch davon ab, ob sich Menschen für eine Thema interessieren und wie sehr es die Menschen aufregt (vgl. US-Wahl oder Brexit).

Filterblasen als Verstärker in der Echokammer

Bleibt noch der Begriff Filterblase zu klären. Die Urheberschaft wird dem Politaktivisten Eli Pariser zugesprochen. Pariser hat bereits 2011 argumentiert, dass die Algorithmen und Filter von Facebook, Google und Co. unbeabsichtigte Nebenwirkungen haben könnten. In dem Versuch den Nutzerinnen und Nutzerinnen nur die besten und relevantesten Ergebnisse anzuzeigen, würden die Internetkonzerne eine begrenzte Informationsblase schaffen. In dieser Blase stünden Argumente und Gegenargumente nicht mehr in ausgewogenen Verhältnis zueinander. Wie mächtig diese Blase allerdings ist und ob sie tatsächlich Wahlen beeinflussen kann, ist allerdings noch nicht abschließend geklärt.

Fazit: Echokammer und Filterblase auch mal verlassen können

In diesem Blogbeitrag habe ich beschrieben, wodurch Echokammern entstehen können und was die Filterblase damit zu tun hat. Einige dieser Effekte spielen ganz sicher auch bei der Diskussion um Landwirtschafts- und Ernährungsthemen eine Rolle. Ob es dabei notwendigerweise auch zu Echokammern und Filterblasen kommt, ist abhängig wie stark die Effekte auftreten und wie sehr sie sich gegenseitig aufheben. Je nachdem, wo man dabei nach Echokammern und Filterblasen sucht, wird man mehr oder weniger fündig. Auf der Facebook-Seite des Deutschen Bauernverbands wird anders diskutiert als auf den Seite des Tierschutzbundes. Ob es sich hierbei schon um Echokammern handelt, ist noch zu diskutieren.

Wie sich jedoch abzeichnet, spielen Netzwerkeffekte und Gruppendynamiken eine große Rolle bei der Meinungsbildung. Wer also Wert auf eine ausgewogene Meinung legt, sollte also auch darauf achten, woher und von wem die Informationen stammen. Manchmal ist es auch hilfreich, über den eigenen Tellerrand zu schauen und sich bewusst mit Andersdenkenden zu beschäftigen. Das kann dem eigenen Horizont nicht schaden, oder?

Zum Schluss noch ein paar Fragen: Wie gehen Sie mit Echokammern und Filterblasen um? Kennen Sie die Phänomene oder bezweifeln Sie ihr Vorkommen? Über eine Anmerkung in den Kommentaren würde ich mich freuen.

4 Gedanken zu „Gleich und gleich: In der Echokammer hat man viele Freunde“

  1. Hallo Herr Meyer,

    Ich habe Ihren Beitrag zur Vorbereitung auf meine mündliche Abiturprüfung in zwei Wochen gelesen – ich finde ihren Beitrag informativ und das Beispiel mit den Tierschützern und den Tierhaltern ist sehr anschaulich. Vielen lieben Dank für den Beitrag.

    Viele Grüße aus Hamburg

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