Marius will nach Hause – Eine Weihnachtsgeschichte

In unserer Familie haben wir in diesem Jahr eine „Challenge“ gestartet. Wir haben uns vorgenommen, dass jeder eine Weihnachtsgeschichte schreibt, die am 24.12. vorgelesen wird. Die Regeln: Der Text soll nicht mehr als 1.500 Wörter lang sein und der erste Satz wird vorgegeben. Hier ist meine Geschichte über einen Weihnachtself, der Marius heißt und an Heiligabend von den Menschen entdeckt wird. Frohe Weihnachten und viel Spaß beim Lesen.

In der Ferne läuteten die Glocken, als sich die letzten Leute zur Kirche aufmachten. Herr und Frau Müller sowie ihre beiden Kinder Jonas und Marie waren dort bereits rechtzeitig angekommen und hatten noch vier Sitzplätze in den sich schnell füllenden Kirchenbänken gefunden. Dort warten sie nun auf den Beginn der Weihnachtsmesse und kommen langsam zur Ruhe. Der Stress und die Hektik der vergangenen Stunden legen sich. „Weihnachten kann kommen“, denken sie. Und als die Orgel zu spielen beginnt, singen sie kräftig mit: „Macht hoch die Tür, die Tor macht weit.

Im Haus der Müller ist von offenen Türen gerade nicht die Rede. Ganz im Gegenteil: Dort versucht nämlich gerade ein Weihnachtself mit zunehmender Verzweiflung die Tür des Wohnzimmerschranks von innen zu öffnen. Aber das Schloss gibt nicht nach. Frau Müller hatte den Weihnachtself am Vormittag unwissentlich im Schrank eingesperrt, als sie dort schnell noch ein paar Geschenke eingeschlossen hat.  Er hatte sich dort versteckt, aus Angst entdeckt zu werden. Denn von Menschen entdeckt zu werden, ist der größte Albtraum von Elfen wie Marius.

Nur nicht entdeckt werden

Marius drückt sich gegen die Tür, so fest er kann. Und sein Herz pocht immer schneller. Schweiß steht ihm auf der Stirn. Aber die Tür bleibt verschlossen. Dabei hätte Marius längst wieder bei seiner Familie sein wollen, um mit seiner Frau und den drei Kindern selbst Weihnachten zu feiern. Er wollte mit ihnen in der liebevoll geschmückten Wohnung sitzen, essen, gemeinsam singen und Geschenke auspacken. Aber danach sieht es in seiner misslichen Lage nicht aus. Große heiße Tränen laufen Marius über die Wangen. Wenn er hier entdeckt würde. Aber daran wollte er nicht denken. Aus Wut über seine missliche Lage laufen ihm noch mehr Tränen übers Gesicht.

In seinem Zustand merkt Marius erst jetzt, dass jemand die Schranktür geöffnet hat, denn auf einmal ist es sehr hell um ihn herum. Frau Müller ist gekommen, um die Pakete unter den Weihnachtsbaum zu legen. Marius zuckt und durch die Bewegung erschreckt, fängt Frau Müller laut an zu schreien. Die übrigen Familienmitglieder eilen herbei. Marius ist entdeckt.

Der erste Kontakt mit Marius

Durch den Tumult ernüchtert, reißt sich Marius zusammen. Er wischt sich die Tränen ab, und als Herr Müller ihm aus dem Schrank hilft, sagt Marius verlegen: „Hallo.“ Die Müllers staunen. Sie sehen ein etwa 35 cm großes Wesen mit spitzen Ohren, das spricht. Die vier Müllers ahnen, dass das Wesen vor ihnen kein gewöhnlicher Einbrecher sein kann. Mit großen Augen starren sie ihn an. Den kurzen Schock nutzt Marius und er sagt nochmal: „Hallo.“ Und fügt er hinzu: „Mein Name ist Marius. Ich bin ein Weihnachtself. Ich bin hier, um herausauszufinden, wie ihr lebt, miteinander umgeht und euch im Alltag verhaltet.“

Die Familie starrt das kleine Wesen immer noch an. Marius spricht weiter: „Außerdem sammle ich die Wünsche und Träume von Familien und melde sie an meine Organisation. Das Hauptquartier ist am Nordpol. Vielleicht habt ihr schon davon gehört. Der Ort ist magisch. Dort werden Wünsche und Träume erfüllt“, fährt Marius mit seiner Erklärung fort.

Jetzt kämpft Marius wieder mit den Tränen. Mit feuchten Augen sieht er in die Runde und sagt: „Weil ihr mich entdeckt habt, muss ich bei euch bleiben. Die Regeln der Elfen sind streng. Ich muss euch dienen, damit ihr ein gutes Leben habt. Das ist der Preis, den ich zahlen muss. Meine liebe Frau und meine drei kleinen Kinder werde ich lange nicht sehen.“ Als er das sagt, schließt er die Augen und schluchzt.

Zeit für große Wünsche

Die letzten Worte des Elfen sind nicht ganz zu Jonas durchgedrungen. Er ist auch sonst nicht die hellste Kerze am Baum, aber das hier versteht er. Der Elf würde seine Wünsche sammeln und dafür sorgen, dass es ihm, Jonas, gutgeht. Also drängt Jonas einen fülligen Körper nach vorne und im Befehlston sagt er: „Ich wünsche ich mir einen neuen Computer. Schneller, bessere Grafik und mit besserem Sound.“ Marius nickt. „Ein guter Wunsch. Mit dem neuen Computer wirst du deine Hausaufgaben schneller erledigen können und mehr Zeit haben für deine Freunde und deine Familie.“ „Quatsch. Hausaufgaben“, sagt Jonas verächtlich. „Alter: Gaming. Ballern. Zocken. Verstanden?“

Marius zuckt und blickt Herrn Müller an. Der überlegt und sagt: „Mein Wunsch: Ein neues Auto. Mehr PS und Sportausstattung.“ Marius nickt wieder: „Ein großer Wunsch, aber er ist OK. Durch den neuen Wagen wirst du mehr Zeit für deine Familie haben, weil er dich schneller hin- und herbringt.“ Herr Müller zuckt mit den Achseln: „Nun ja, im Stau oder im Stadtverkehr ist er auch nicht schneller als ein Kleinwagen. Aber die Kollegen werden stauen. So ein Auto zeigt ja auch immer, wer man ist und was man erreicht hat.“

Zeit für mehr Einfluss und Geld

Marius nickt und dreht sich zu Frau Müller. „Was ist dein Wunsch?“, fragt er. Frau Müller kniet sich zu Marius hinunter und führt aus: „Ich bin eine erfolgreiche Managerin, aber karrieremäßig trete ich auf der Stelle. Ich wünsche mir daher eine Beförderung. Ich will mehr Einfluss und mehr Geld.“

„Mama!“, ruft Marie. „Das ist ein toller Wunsch. Wenn du mehr Geld verdienst, kannst du weniger arbeiten. Und dann bist du mehr bei uns zu Hause.“ Marie strahlt. Frau Müller richtet sich wieder auf und schaut ernst auf ihre Tochter. „Nein“, sagt sie. „Schau Liebes, als Abteilungsleiterin trage ich mehr Verantwortung. Da muss ich regelmäßig im Büro sein. Möglicherweise werde ich sogar noch mehr arbeiten müssen. Aber dafür machen wir im Sommer einen ganz schönen Urlaub. Versprochen. Wir fliegen ganz weit weg.“

Zeit für anderes Denken

Marie ist verblüfft. Die Wünsche ihrer Familie verwirren sie. „Jonas, du willst noch mehr Zeit vor dem Computer verbringen? Und Papa, ein größeres Auto, damit dich deine Kollegen beneiden? Sollten sie dich nicht dafür mögen, wie du sie behandelst? Und du Mama? Du willst noch mehr arbeiten? Ich sehe dich doch jetzt schon kaum“. Herr und Frau Müller sehen sich an. Wo kommt das denn jetzt her?

Aber Marie fährt fort: „Marius. Wir haben dich entdeckt und du sagst, dass du bei uns bleiben musst, damit wir ein gutes Leben haben. Schau dich um, meine Familie denkt nur an sich. Daher mein Wunsch: Marius, ich wünsche mir, dass, wenn es möglich ist, du wieder bei deiner Familie sein kannst. Denn ich sehe an deinen Tränen, wie traurig du bist. Du gehörst nicht hier her.“

Alle schauen Marie an und ihre Augen füllen sich mit Tränen. Und auch Marius Augen werden wieder feucht. Diesmal aber mit Tränen der Freude und Dankbarkeit: „Ein sehr guter Wunsch“, sagt er schluchzend. Dann streckt er sich und greift Maries Hand „Danke. Du hast es verstanden.“ Marius lächelt Marie kurz an und plopp ist er verschwunden. Die vier Müllers bleiben zurück.

Am Ort der Träume und Wünsche

Als Marius am Nordpol an die Tür seiner Wohnung klopft, öffnet sie sich sofort. Marius lächelt. Er ist wieder dort, wo er glücklich ist. Und Marius weiß: Ob Computer, Auto oder Karriere. Sicher haben diese Wünsche für die Müllers eine große Bedeutung, aber das ist nicht das, was allein zählt. Und Marius denkt an den ursprünglichen Sinn von Weihnachten: An den Glauben an Frieden und Liebe in der Welt. Dabei wurde ihm warm ums Herz. Und der Stress und die Hektik der vergangenen Stunden ließen langsam nach.

In diesem Sinne wünsche ich Euch und Ihnen frohe und besinnliche Weihnachtstage!

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