Von der Ausbildung zum Landwirt zur Nachhaltigkeitsforschung

Ich habe mich damals nach dem Abitur für eine praktische Ausbildung zum Landwirt entschieden. Ich glaubte, in kaum einer anderen Branche seien die Themen Mensch, Natur und Technik so eng miteinander verzahnt wie in der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Wie eng die Bereiche verzahnt sind, das habe ich allerdings erst später erfahren. Die Ausbildung zum praktischen Landwirt war für mich nur ein erster Schritt in die Welt des Agribusiness mit seinen Herausforderungen, Netzwerken und systemischen Wechselwirkungen. Mit diesem ersten Schritt begann für mich auch der Weg zur Nachhaltigkeitsforschung.

Theorie und Praxis – Auf dem Hof begann das Lernen erst

Während meiner praktischen Ausbildung auf meinen Lehrbetrieben vor rund 25 Jahren, habe ich immer wieder zu hören bekommen: „Christian , warum lernst du denn Landwirt? Ihr habt doch keinen Hof.“ Einen Hof wollte ich auch nicht führen, obwohl ich manchmal drüber nachgedacht habe. Ich wollte erst noch studieren, weil für mich klar war: Theorie und Praxis gehören zusammen – daher zuerst die Ausbildung. Für mich bis heute die richtige Wahl, auch wenn das Thema Nachhaltigkeit damals noch gar nicht auf der Rechnung hatte.

Je mehr ich über Pflügen, Düngen und Tierhaltung gelernt habe, desto mehr wollte ich über die Zusammenhänge wissen. Meinen damaligen Berufswunsch „Betriebsberater bei der Landwirtschaftskammer“ habe ich noch während des Studiums aufgegeben. Trotz eines spannenden Praktikums Landwirtschaftskammer Rheinland, heute Landwirtschaftskammer Nordrhein-Westfalen.

Mein Interesse galt nicht mehr nur dem landwirtschaftlichen Betrieb, sondern auch den vor- und nachgelagerten Unternehmen der Landwirtschaft. Futtermittelindustrie, Fleischverarbeitung oder der Lebensmitteleinzelhandel boten interessante Perspektiven und Abhängigkeiten. Diese wollte ich noch auszuloten. So wurde aus der Beschäftigung mit der landwirtschaftlichen Urproduktion eine Beschäftigung mit den Wertschöpfungsketten der Agrar- und Ernährungswirtschaft. Ein Teil meiner bisherigen wissenschaftlichen Veröffentlichungen handelt davon.

Das Foodsystem und das Denken in Systemen

Managementthemen und der Zusammenhang zwischen Unternehmensführung und Unternehmenserfolg haben mich damals schon sehr interessiert. Das wissenschaftliche Interesse daran und an der Agrar- und Ernährungswirtschaft im Allgemeinen waren später Gründe dafür, warum ich nochmal als wissenschaftlicher Mitarbeit zurück an die Uni Bonn gegangen bin. In dieser „zweiten Zeit“ an der Uni habe ich mich noch systematischer mit der Kommunikation in Wertschöpfungsketten und Netzwerken beschäftigt. Ein ebenso spannendes Thema ist die Entwicklung von Lebensmittelsystemen (Food Systems).

Besonders spannend finde ich seitdem die Ideen und Modelle rund um die Struktur und das Verhalten von (sozialen) Netzwerken sowie verschiedene damit verbundene systemtheoretische Ansätze. Das Denken in Systemen hilft mir dabei, die Bereiche Mensch, Natur und Technik mit ihren Wechselwirkungen ganzheitlich zu erfassen, zu verknüpfen und zu analysieren. Die Bücher des Systemforschers Peter M. Senge (u.a. „The Fifth Discipline“, dt. „Die fünfte Disziplin“) oder der Umweltforscherin Donella Meadows (u. a. Mitautorin von „Die Grenzen des Wachstums“) bieten einen guten Einstieg in Systemdenken. Vergessen werden darf natürlich auch nicht der deutsche Systemtheoretiker Niklas Luhmann, der ebenfalls viele spannende Anstöße für die Beschäftigung besonders mit sozialen Systemen liefert.

Während meiner Ausbildung zum Coach habe mich auch noch mit den systemischen Zusammenhänge in der Kommunikation zwischen Menschen und innerhalb ihrer Beziehungen beschäftigt (z. B. „Das soziale Atom“).

Theorie und Praxis in der Nachhaltigkeitsforschung vereinen

Doch zurück zur Agrar- und Ernährungswirtschaft: Nimmt man das AgriFoodSystem ganzheitlich in den Blick, ist es nur noch ein kleiner Schritt zum Thema „Nachhaltige Entwicklung“. Dabei geht es darum, die ökologischen, sozialen und ökonomischen Wechselwirkungen und die damit verbundenen Herausforderungen so unter einen Hut zu bekommen, dass alle Menschen – jetzt und in Zukunft –in einer lebenswerten Welt leben können.

Ein gewaltiges Vorhaben mit vielen „Wicked Problems“. Es ist abzusehen, dass die Bevölkerungszahl weltweit noch anwachsen wird, das Klima sich verändert und die politische Lage in vielen Regionen nicht stabil ist. Um den Herausforderungen zu begegnen, haben die Vereinten Nationen im Jahr 2015 die Agenda 2030 mit den 17 Zielen der Nachhaltigen Entwicklung („Sustainable Development Goals“, SDGs) verabschiedet. Die Beendigung von Armut und Hunger stehen dabei ganz oben auf der Liste. Ob es gelingt, diese Ziele zu erreichen, hängt auch davon ab, wie sich das AgriFoodSystem an die neuen Gegebenheiten und gesellschaftlichen Herausforderungen anpasst.

Und hier schließt sich der Kreis: Die fachübergreifende (interdisziplinäre) und gemeinsame (transdisziplinäre) Forschung aller Stakeholder wird entscheidenden Anteil daran haben, ob die Herausforderungen bewältigt werden können. Die theoretischen Kenntnisse über die zugrunde liegenden Systeme sowie das gemeinsame Verständnis ihrer Mechanismen ist eine Grundvoraussetzung dafür. Doch alle Theorie wird nichts nützen, wenn es keine Entsprechung in der Praxis gibt. Auf die Menschen vor Ort kommt es an, die Erkenntnisse umzusetzen. Die angewandte Nachhaltigkeitsforschung hat sich dies zum Ziel gesetzt: Theorie und Praxis zu vereinen für mehr Nachhaltigkeit – regional, national und international. Soziales Change- bzw. Veränderungsmanagement inklusive.

Fazit: Die Ausbildung zum Landwirt als gutes Rüstzeug für mehr Nachhaltigkeit

Das, was vor rund 25 Jahren mit meiner Ausbidlung zum praktischen Landwirt begonnen hat, hat mich heute zur Beschäftigung mit dem Thema „Nachhaltige Entwicklung im AgriFoodSystem“ geführt. Auch wenn bei mir der „Stallgeruch“ nicht mehr ganz so ausgeprägt ist, wie damals auf dem Lehrbetrieb, als ich Ställe ausgemistet und so manches Fass mit Wirtschaftsdünger („sprich: „Gülle“) durch die Landschaft gefahren habe. Diese Erfahrungen kann ich heute in meine Arbeit einbringen. An der Schnittstelle zwischen Theorie und Praxis versuche zwischen beiden Welten zu vermitteln, Netzwerke zu knüpfen und gemeinsame Ziele abzustecken. Ich entwickle Projekte und beantrage Fördermittel für eine gemeinsame inter- und transdisziplinäre sowie nachhaltigkeitsorientierte Forschung – von der Idee bis zum Projektmanagement.

Auch wenn die Zeit der Ausbildung nicht immer leicht war und der Spruch „Lehrjahre sind keine Herrenjahre“ zeitweise mein Mantra war: Ich bereue die Zeit nicht. Sie war ein wichtiger Schritt auf meinem Weg zur Beschäftigung mit dem Thema Nachhaltigkeit und eine gute Grundlage für das Denken in Systemen.

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