Die Drachen der Untätigkeit oder was vom nachhaltigen Handeln abhält

Der kanadische Umweltpsychologe Robert Gifford hat eine Übersicht erstellt mit Gründen, warum es Menschen oft so schwer fällt, sich aktiv für den Klimaschutz einzusetzen. In seinem Paper „Die Drachen der Untätigkeit“ (orig. „The Dragons of Inaction“, 2011) beschreibt er eine Reihe von psychologischen Hürden, die im Alltag immer wieder im Weg stehen. Welche das sind und was ich daraus schließe, habe ich in diesem Beitrag wiedergegeben.

Aufs Fliegen verzichten für den Klimaschutz? Öfter mal das Auto stehen lassen und aufs Rad oder die öffentlichen Verkehrsmittel umsteigen? Vieles ist leichter gefordert, als umgesetzt. Zugegeben: Manche Veränderungen haben wir nicht in der Hand. Besonders in ländlichen Gegenden sind viele Menschen beispielsweise auf das Auto angewiesen. Der Nahverkehr dort ist oft nicht oder nur schlecht ausgebaut. An diesen eher strukturellen Problemen kommen wir kurzfristig wohl auch nicht vorbei. Hier sind Veränderungen eher grundlegenderer Natur.

Aber unabhängig davon: Viele Veränderungen können wir selbst beeinflussen. Und doch: Die Beharrungskräfte sind groß. Aber warum ist das so? Was hält uns auf?

Drachen als Metapher für psychologische Hürden

Der kanadische Wissenschaftler Robert Gifford hat sich diese Frage auch gestellt und eine Reihe psychologischer Barrieren identifiziert. Kräfte, die in uns wirken und uns am Handeln hindern. Gifford nennt diese psychologischen Hürden „Drachen der Untätigkeit“. Er nutzt das Drachenbild als Metapher. Die Drachen stehen dabei bildhaft als Hindernis zwischen dem Helden und dem Schatz, den es zu bergen gilt. Übertragen heißt das: Der Drache steht  zwischen dem potenziell Handelnden und dem Ziel, künftig klima- oder umweltschonender zu leben.

Gifford hat für seine 2011 erschienene Veröffentlichung 29 Drachen identifiziert und beschrieben. Auf seiner Webseite „DragonsOfInaction.com“ ist mittlerweile von 36 Drachen (Stand 01/2020) die Rede. Sie sind in folgenden Drachengattungen zusammengefasst:

Die Drachen sind dabei ganz unterschiedlicher Natur. Sie haben zu tun mit der Art und Weise wie wir denken, wie wir unsere Umwelt wahrnehmen, wie wir unser soziales Umfeld betrachten oder mit unseren Weltanschauungen. Dabei gilt: Die Drachen wirken nicht nur allein, sondern verstärken und beeinflussen sich gegenseitig.

Nachfolgend sind ihre Gattungen in Anlehnung an Gifford erläutert. Dabei habe ich einige Drachen hervorgehoben und andere ausgelassen. Für eine vollständige Übersicht empfehle ich Giffords Paper oder seine Webseite.

Begrenztes Denkvermögen („Limited Cognition“)

Giffords erste Gattung basiert auf der Erkenntnis, dass Menschen weniger rational denken, als vielfach vermutet oder behauptet wird. Daraus ergäben sich Fehlwahrnehmungen und Verzerrungen, die zu Untätigkeit beim Klimahandeln führen können, so Gifford.

Auf dem Weg zur Veränderung stehen Hindernisse im Weg. Der Umweltpsychologe R. Gifford verwendet für innere Widerstände die Metapher des Drachen.

Als Beispiel dafür nennt er den sogenannten „Optimism Bias“. Dabei verhinderten ein übersteigerter Optimismus und die daraus resultierende Annahme, dass die Folgen des Klimawandels schon nicht so schlimm würden (zumindest nicht am eigenen Wohnort), notwendige Veränderungen.

Ein weiterer Drache dieser Gattung ist die „Unwissenheit“ bzw. die „Ignoranz“. Wer von einem Problem nichts weiß oder es ausreichend ignorieren kann, wird sich aller Wahrscheinlichkeit auch nicht aufraffen, dieses Problem zu bewältigen.

Aber selbst, wenn alle Fakten auf dem Tisch sind, führt das nicht zwangsläufig dazu, dass Menschen tätig werden, die Herausforderungen auch anzugehen. Ihnen muss auch klar sein, was sie tun können und dass sie was tun können. Kurz: Sie müssen die Lösungs- bzw. die Handlungsmöglichkeiten kennen. Dabei ist es ebenso wichtig, auch das Gefühl zu haben, mit ihrem Verhalten etwas bewirken zu können.

Ideologien („Ideologies“)

Untätigkeits-Drachen der zweiten Gattung nähren sich aus ideologischem Gedankengut oder bestimmten Weltanschauungen. Die Diskussionen um die Energiewende oder die Umweltauflagen für die Landwirtschaft sind dafür gute Beispiele. Staatliche Regeln und Vorschriften zur Nutzung natürlicher Ressourcen wie Fischbestände, Wälder oder Böden beispielsweise werden dabei als Gift für Wettbewerbsfähigkeit und Unternehmensgewinne angeprangert. Aber gerade das Fehlen von Regeln und Verhaltensnormen hat vielfach zu einer unkontrollierten Ausbeutung von Ressourcen geführt, bzw. auch schon zu deren Zerstörung beigetragen. Das Phänomen kennt man auch als die Tragik der Allmende.

Gesellschafts- oder Wirtschaftssysteme grundsätzlich in Frage zu stellen oder Änderungen daran vorzunehmen: Auch das schreckt viele Menschen davon ab, für den Klima- oder Umweltschutz tätig zu werden oder dafür einzutreten. „Systemrechtfertigung“ nennt Gifford diesen Drachen. Dem Erhalt des Bestehenden wird eine höhere Bedeutung beigemessen, als Neues zu wagen.

Viele Menschen glauben auch, dass die aktuell drängenden Probleme (allein) mit technischen Innovationen gelöst werden könne. Gifford nennt diesen Drachen „Technosalvation“. Auch das übermäßige Vertrauen in die Ingenieure, die Lösung schon irgendwie zu finden, kann untätig machen. („Aufs Fliegen verzichten? Nein, es gibt doch bald umweltschonende Flugzeuge mit Wasserstoffantrieb!“)

Vergleiche mit anderen („Comparisons with other People“)

„Die anderen kümmern sich auch nicht um die Umwelt. Warum sollte ich anfangen?“. Das sind Aussagen, die man zu hören bekommt, wenn man es mit den Drachen der Gattung „Sozialer Vergleich“ zu tun bekommt.

Hierbei haben das Handeln und die Meinung anderer einen bedeutenden Einfluss auf das eigene Tun. Auf dieser Erkenntnis aufbauend hat der amerikanische Sozialpsycholog Leon Festinger bereits in den 1950er Jahren die „Theorie des Sozialen Vergleichs“ formuliert. Ihre Grundannahmen haben noch heute in vielen Bereichen des Alltags Gültigkeit.

Das ist leicht nachzuvollziehen: Menschen, deren Familie, Nachbarn oder Freunde im Bereich Klimaschutz untätig sind, bleiben wahrscheinlich ebenfalls untätig. Woher sollte auch der Impuls zur Veränderung kommen.

Auch geltende soziale Normen und die eigene Einbettung in soziale Netzwerke wirken fördernd oder hemmend auf klimafreundliches Handeln. Aus Gruppennormen auszubrechen, ist immer anstrengend und birgt das Risiko (s. dazu auch unten), aus der Gruppe ausgeschlossen zu werden. Beispiel: „Alle meine Freunde fahren SUV. Wenn ich jetzt mit einem Kleinwagen ankomme, lachen die mich aus.“

Unumkehrbare Kosten („Sunk Costs“)

Große Autos gelten immer noch als Statussymbol. Wer es anderen zeigen will, kauft sich ein großes und schnelles Auto. Und ddamit sind wir schon bei der nächsten Drachengattung: Die „Unumkehrbaren Kosten“. Ist der Kredit für den SUV erst einmal aufgenommen und sind die ersten Raten bezahlt, gibt es kein Zurück mehr: Das Auto steht in der Garage, also wird es auch genutzt. Und habe man sich erst einmal an den Komfort und die Bequemlichkeit seines fahrbaren Untersatzes gewöhnt, dann erst recht, argumentiert Gifford.

Trägheit und Gewohnheit sind weitere und zwar wesentliche innere Aspekte, die uns am Klimahandeln hindern. Viele kennen das. Wer versucht nach Weihnachten mehr Sport zu treiben, weniger Alkohol zu trinken oder regelmäßig mit dem Rad zur Arbeit fahren, sieht sich diesen Drachen in Form des „inneren Schweinehunds“ gegenüber.

Missbilligung („Discredence“)

Manche Menschen ignorieren den Klimawandel und seine Folgen (s. oben). Manche leugnen ihn aber auch ganz aktiv, verleumden wissenschaftliche Ergebnisse und bringen Klimaaktivistinnen und -aktivisten in Verruf. Diese Verhaltensweisen sind typisch für die Drachengattung „Missbilligung“. Sie hat generell mit negativen Sichtweisen und ablehnenden Einstellungen sowie mangelndem Vertrauen zu tun.

Gifford fasst das in etwa wir folgt zusammen: Wenn Menschen einander nicht vertrauen, dann werden sie den Vorschlägen der anderen nicht folgen. Im schlimmsten Fall setzen sie sich sogar gegen Empfehlungen und Ratschläge trotzig zu wehr.

Wahrgenommenes Risiko („Perceived Risk“)

Die Drachen der Gattung „Wahrgenommenes Risiko“ haben mit den Risiken zu tun, die mit Veränderungen verbunden sind. Zu ihnen gehören beispielsweise das finanzielle Risiko oder das soziale Risiko (s. oben). Für Unternehmen beispielsweise kann es kostspielig sein, in neue Technologien zu investieren. Zu groß ist das Risiko finanzieller Verluste, wenn sich die Technologie am Markt nicht rechnet. Anderseits: Auch ein Aussitzen der Herausforderungen und Nichtstun können Risiken bergen. Das erlebt z. B. gerade die Automobilwirtschaft, wie ein Artikel auf Spiegel online anschaulich illustriert. Aber auch die Energiewirtschaft hat jahrelang die Augen vor den notwendigen Anpassungen verschlossen.

Begrenztes Handeln („Limited Behavior“)

Und schließlich: Zur siebten Gattung zählt Robert Gifford Drachen, die für gut gemeintes, aber nur unzureichend wirksames Handeln stehen. Dazu gehören umwelt- oder klimabezogene Verhaltensweisen, die nur Alibifunktion haben oder als Feigenblatt dienen. Diesen Drachen nennt Gifford „Tokenism“. Das heißt, einfache leicht zu realisierende Aktionen werden umgesetzt („Trennen von Müll“), wirksamere, aber ggf. auch teurere oder schwieriger umzusetzende Aktionen aber nicht („Umstieg auf Ökostrom“, „Verzicht auf Flugreisen“, „kleinere Wohnung“ etc.).

Mit begrenztem Handeln eng verbunden ist auch der sogenannte Rebound-Effekt. Bei diesem Phänomen führen beispielsweise Einsparungen beim Spritverbrauch durch effizientere Motoren dazu, dass weitere Strecken gefahren werden oder das Auto häufiger genutzt wird. Die erzielten Einsparungen an Diesel oder Benzin werden dadurch wieder zunichte gemacht.

Bühne frei für Drachentöter

Soweit zu den Drachen, die nachhaltigeres Handeln erschweren oder verhindern. Doch wir überwindet man die Drachen? Patentrezepte gibt es dafür leider nicht. Aber einige Ansatzpunkte.

Innere Widerstände („Drachen“) zu überwinden ist nicht leicht. Wer bei sich selbst anfängt, kann auch Vorbild sein für andere. Mit diesen fünf Schritten kann es gehen (Eigene Darstellung).

Ich habe für mich folgende Schlüsse gezogen und folgende fünf Schritte zur Überwindung der Drachen notiert:

  1. Akzeptieren und reflektieren: Der erste Schritt zur Veränderung ist: Anzuerkennen, dass es ein Problem gibt. Dazu gehört auch, abzuklären, wo das Problem liegt und mit welchem oder welchen Drachen man es zu tun hat. (Hilft gegen: Denkfehler, Leugnen und Ignoranz)
  2. Informieren: Man muss nicht Experte oder Expertin für den Klimawandel oder nachhaltige Entwicklung werden. Aber auf dem Laufenden zu bleiben und offen zu sein für die Themen, die die öffentliche Diskussion bestimmen, sollte im Bereich des Möglichen sein. (Hilft gegen: Ideologien, Ignoranz, Missbilligung).
  3. Ziele stecken: Ziele spielen eine große Rolle bei der Verhaltensänderung. Wer sich erst kleinere („Stromanbieter wechseln“, „Mehr Geld für Lebensmittel ausgeben“) und dann größere Ziele steckt („Umstieg auf Carsharing“), wird Erfolg haben. (Hilft gegen Tokenism, Rebound, Sunk Costs, Trägheit)
  4. Beispiel sein für andere: Es geht nicht darum andere zu bekehren. Es geht darum, klimabewusstes oder nachhaltigeres Handeln vorzuleben. Wer an die Käse- oder Fleischtheke eigene Dosen für den Transport mitbringt, setzt schon ein Zeichen. Aus „die anderen tun ja auch nichts“ wird die „anderen tun ja doch was.“ (s. „Sozialer Vergleich!“)
  5. Lösungsansätze und Good Practice Beispiele kommunizieren: Viele Menschen, brauchen Impulse um zu handeln. Wer Bescheid weiß, wie man nachhaltig handeln kann, wird es vielleicht tun. Manchmal muss man Menschen dabei etwas anstoßen und zeigen, das was geht und wie es geht. Der Kommunikation von Nachhaltigkeit kommt hier also eine besondere Bedeutung zu.(Hilft gegen: Wahrgenommen Risiken)

Die fünf Schritte sind dabei als Kreislauf zu verstehen. Zwar zählt der Beitrag jedes einzelnen Menschen für mehr Klimaschutz und Nachhaltigkeit, aber erst wenn alle mitmachen, können nachhaltige Veränderungen umgesetzt werden. Nachhaltigkeit geht alle was an.

Soweit so gut. Ich gehe jetzt auf Drachenjagd. Mal sehen, was ich tun kann.

Referenz

Gifford, R. (2011). The dragons of inaction: Psychological barriers that limit climate change mitigation and adaptation. American Psychologist, 66(4), 290–302.

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