Veränderungen vollziehen sich manchmal schnell und unvorhersehbar, manchmal deuten sie sich an. Manchmal vollziehen sie sich unbemerkt und schleppend, aber unaufhaltsam. Die meisten Menschen müssen irgendwann mit den kleinen und großen Veränderungen im Leben umgehen, sei es im privaten oder beruflichen Bereich. Manchmal kann man darauf nur reagieren. Doch manchmal will man die Veränderungen selber gestalten, bzw. die Veränderungen aktiv anstoßen. Wer dabei erfolgreich sein will, profitiert von bestimmten Schlüsselkompetenzen. Welche das sind, beschreibe ich in diesem Beitrag.
In allen Lebensbereichen sind Veränderungen an der Tagesordnung. Risiken und Unsicherheiten – tatsächliche oder gefühlte – nehmen zu. Langfristige Planungen werden dadurch schwerer oder gar unmöglich. Ein Beispiel: Als ich meine Lehre zum Landwirt begonnen habe, ahnte ich noch nicht, dass mein Weg in die Forschung und zu den Themen Nachhaltigkeit und Veränderung führen würde und nicht in den Stall zu Kühen und Schweinen.
Aussitzen oder gestalten?
Im Anblick der aktuellen Veränderungen (u. a. Digitalisierung, Globalisierung, politische Rahmenbedingungen, Klimawandel) haben wir die Wahl: Wir können uns zurücklegen und warten, was die Zukunft bringt. Wir sitzen damit den Wandel einfach aus und passen uns so gut an, wie es eben geht. Der 3. Artikel im rheinischen Grundgesetz besagt doch: „§ 3 Et hätt noch immer jot jejange.“ (dt.: Es ist noch immer gutgegangen.“) Und sicher ist: Vieles ist und wird auch künftig gut gehen. Aber nur, weil es immer wieder Menschen gibt, die vorausschauend und gestaltend tätig werden. Das sind Menschen, die nicht abwarten wollen, bis es zu spät ist. Diese Menschen werden daher kreativ und beginnen im Wandel zu gestalten.
Es sind Menschen, die (strategische) Anpassungen vornehmen, wo es nötig ist und Chancen ergreifen, wo es möglich ist. Bezeichnungen für diese Menschen gibt es viele: Change Agents, Pioniere des Wandels, Game Changers oder Innovatoren etc. Sie sind tätig in Gemeinden und Kommunen, in Unternehmen, Schulen oder Vereinen. Offenbar verfügen diese Menschen über bestimmte Kompetenzen, mit denen sie sich dem Wandel offener gegenüber zeigen, als andere Menschen.
Kompetenzen umfassen mehr als Fachwissen
Alle Menschen nutzen bestimmte Fähigkeiten, um ihr tägliches Leben zu organisieren. Die Liste mit diesen Fähigkeiten und Fertigkeiten ist lang. Sie hier aufzuzählen, ist nicht zielführend, weil die vielfältigen Aufgaben und Anforderungen unterschiedliche Kompetenzen erfordern. Die Liste wäre also nicht nur lang, sondern auch unübersichtlich. Außerdem: Welche Kompetenzen davon wären relevant und welche nicht? Und welche Kompetenzen würden allen Menschen wirklich nützen?
Die Organisation für wirtschaftliche Zusammenarbeit und Entwicklung (OECD) hat sich mit diesen Fragen beschäftigt. Daraus entstand ein Konzept für sogenannte Schlüsselkompetenzen. Diese sollen Menschen allgemein befähigen, sich in einer „durch Wandel, Komplexität und wechselseitige Abhängigkeit gekennzeichneten Welt anzupassen“ (OECD, 2005).
In diesem Konzept geht es nicht allein um Fachwissen oder kognitive Fähigkeiten, wie das Verstehen von Zusammenhängen. Der Rahmen ist weiter gefasst. Bei der Entwicklung von Schlüsselkompetenzen geht in erster Linie darum, eigenständig zu denken und nachzudenken (Reflexion). Und auch darum, Kreativität und praktische Fähigkeiten freizusetzen, die angetrieben sind von inneren Werten und Einstelllungen.
Schlüsselkompetenzen für die nachhaltige Entwicklung
Doch Schlüsselkompetenzen spielen nicht nur in der täglichen Lebensführung eine Rolle. Auch für die Gestaltung und Bewältigung komplexer gesellschaftlicher Herausforderungen sind sie wichtig. Dazu gehört beispielsweise die Gestaltung einer nachhaltigeren Zukunft. Gerade die 17 Ziele der nachhaltigen Entwicklung (SDGs) mit ihren vielfältigen Wechselbeziehungen sind gute Beispiele dafür, mit welchen Herausforderungen wir es weltweit – auch in Deutschland – zu tun haben (u.a. Bildung, Gleichstellung, lebenswerte Gemeinden, Umwelt- und Klimaschutz etc.).
Den Ansatz der Schlüsselkompetenzen haben daher verschiedene Wissenschaftler und Wissenschaftlerinnen aufgenommen und auf den Bereich Nachhaltigkeit übertragen. Sie haben sich dabei mit der Frage beschäftigt, wie Menschen befähigt werden können, aktiv an nachhaltigen Entwicklungen teilzunehmen. Die Ausgangspunkte dafür waren unterschiedlich. Aber: Am Ende sind sie zu ähnlichen Ergebnissen gekommen.
Die hier aufgestellte Liste stellt eine Übersicht der gängigen Schlüsselkompetenzen für nachhaltige Entwicklung dar, wie sie in verschiedenen Quellen genannt werden. Die dafür zugrundeliegenden Referenzen sind am Ende des Beitrags aufgeführt
Liste mit sechs Schlüsselkompetenzen
- Denken in komplexen Zusammenhängen und System („Systems Thinking Competency“): Diese Kompetenz drückt sich aus durch das Verständnis komplexer Systeme und die Fähigkeit solche Systeme zu analysieren. Oft wird sie auch bezeichnet als Systemdenken.
- Vorrauschauendes Denken und Handeln (Antizipatorische Kompetenzen): Nachhaltige Entwicklung ist ein Projekt über Generationen hinweg. Weichen, die dafür heute gestellt werden, geben die Richtung für morgen vor. Konsequenzen von nicht-nachhaltigem Verhalten zu analysieren und in Zukunftsszenarien darzustellen, ist daher eine Fähigkeit, die zu diesem Kompetenzbereich gehört.
- Strategisches Denken und Handeln („Strategic Competency“): Die Fähigkeit Nachhaltigkeitsziele zu stecken und innovative darauf ausgerichtete Maßnahmen umzusetzen, ist Teil der strategischen Kompetenz. Dabei spielen unter anderem auch Kenntnisse von Planungsmethoden und des Transition- oder Changemanagements eine Rolle sowie die Fähigkeit verschiedenste Anspruchsgruppen an den Prozessen zu beteiligen.
- Normative Kompetenzen: Nachhaltige Entwicklung ist ein Konzept, dass sehr eng mit Werten, wie Gerechtigkeit, Verantwortung oder Fairness verbunden ist. Deshalb gehört auch dazu, Werte und Leitbilder zu erkennen und diese zu reflektieren.
- Interpersonale Kompetenzen / Kooperationsfähigkeit / Sozialkompetenz: Dieser Kompetenzbereich ist weit gefasst und umfasst nahezu alle Fähigkeiten, die das Zusammenleben und -arbeiten von Menschen mit unterschiedlichen Hintergründen erfordert: Kommunikationsfähigkeit, Führungskompetenzen, Verhandlungsgeschick aber auch interkulturelle Kompetenzen. Gerade die Verschiedenheit der vielen Akteure im Nachhaltigkeitsumfeld und der vielen möglichen Konfliktfelder verleihen dieser Kompetenz ihre Bedeutung.
- Selbstkompetenz / Eigenständiges Handeln: Da der Kompetenzbegriff auch innere Einstellungen umfasst, gehört auch der Bereich der Selbstkompetenz zu den Schlüsselkompetenzen einer nachhaltigen Entwicklung. Die Fähigkeit seine eigene Rolle zu reflektieren sowie Motivationen, Gefühle und die Bereitschaft, sich mit dem Thema Nachhaltigkeit auseinanderzusetzen. Und im Idealfall sich auch für ein mehr an Nachhaltigkeit einzusetzen, d. h. zum Handeln zu motivieren.
Die Liste ist allerdings nicht abschließend oder vollständig. Das Konzept der Gestaltungskompetenz beispielsweise umfasst ähnliche, aber auch andere Kompetenzen. Sie sind m. E. jedoch schon mehr oder weniger Teil der hier genannten Schlüsselkompetenzen. Ich habe sie daher nicht gesondert aufgeführt.
Kompetenzentwicklung: Herausforderungen suchen und eigene Erfahrungen machen
Doch wie entwickelt man die oben genannten Kompetenzen? Am besten, wenn man gezielt nach besonderen Herausforderungen sucht und bei deren Bewältigung aktiv Erfahrungen macht. Kinder lernen das Fahrradfahren ja auch nicht, indem man es ihnen erklärt, sondern, indem man sie auf ein Fahrrad setzt und fahren lässt.
Sich Wissen über das Konzept der Nachhaltigkeit und der nachhaltigen Entwicklung anzueignen, ist nur ein Teil des Kompetenzerwerbs. Das Wissen in die Praxis umzusetzen, ein anderer. Wer die oben genannten Kompetenzen also entwickeln möchte, sollte nach Gelegenheiten suchen, nachhaltigkeitsorientiert zu handeln und entsprechende Veränderungen zu erproben. Allein oder besser noch: Gemeinsam in einer Gruppe (s. Soziale Kompetenz).
In einen gemeinsam durchgeführten Szenario-Workshop beispielsweise, stehen „Vorausschauendes Denken“, „Systemdenken“ oder die Zusammenarbeit mit anderen im Vordergrund. „Strategisches Denken“ und „Normative Kompetenzen“ sind gefordert, wenn beispielsweise darüber nachgedacht werden soll, welche Agrar- und Ernährungswirtschaft wir in Deutschland und Europa haben wollen und wie wir dort hingelangen sollen. Die „Selbstkompetenz/ Eigenständiges Handeln“ wird gefordert, wenn wir beginnen, dass Auto stehen zu lassen und alternative Transportmittel zu nutzen. Oder wenn wir konsequent auf eine ausgewogene und nachhaltigere Ernährung achten. Weitere Beispiele sind denkbar. Welche fallen euch und Ihnen noch ein?
Offen sein für Veränderung und Unsicherheit akzeptieren
Ein letzter Punkt ist vielleicht noch erwähnenswert. Veränderung kann Ängste verursachen. Manchmal sind diese berechtigt, oft aber nicht. Wer sich seiner Kompetenzen zur Gestaltung jedoch bewusst ist, kann Veränderungen leichter akzeptieren und lösungsorientierter mit ihnen umgehen und ihnen daher offener entgegentreten.
Das Gute: Jeder von uns hat diese Veränderungskompetenzen in gewissem Maße bereits in sich angelegt, weil wir alle schon einmal mit Veränderungen umgehen mussten. Daran sollten wir uns erinnern, wenn wir anstehende Herausforderungen meistern wollen – nicht nur beruflich, sondern auch im privaten Bereich.
Ein gutes Tool zur Reflexion von Veränderungen im eigenen Leben ist übrigens die „Lebenslinie“. Sie hilft dabei, Wendepunkte im Leben zu entdecken und die Kompetenzen zu identifizieren, die zu ihrer Bewältigung notwendig waren.
Referenzen und weiterführende Literatur:
- De Haan, G. (2008). Gestaltungskompetenz als Kompetenzkonzept der Bildung für nachhaltige Entwicklung
- OECD (2005). Definition und Auswahl von Schlüsselkompetenzen – Zusammenfassung.
- Rieckmann, M. (2013). Schlüsselkompetenzen für eine nachhaltige Entwicklung, polis 4/2013
- UNESCO (2017). Education for Sustainable Development Goals: Learning Objectives, Online: https://unesdoc.unesco.org/ark:/48223/pf0000247444 (10.06.2019)
- Wiek, A., Withycombe, L., Redman, C. L. (2011). Key Competencies in sustainability: A referene Framework for academic program development. Sustainability Science (6)2, S. 203-218